Science – Sternbilder ertrinken in der Lichtverschmutzung in alarmierender Geschwindigkeit

Die neueste Studie mit Daten vom Citizen Science Projekt Globe at Night sagt: In vielen Teilen der Welt übertüncht die globale Lichtverschmutzung sogar markante Sternbilder wie Orion und es wird jedes Jahr schlimmer.

Die weitreichendste Form von Lichtverschmutzung ist das Himmelsleuchten (Skyglow, das Hintergrundleuchten unzähliger gestreuter Photonen in der Atmosphäre), das von den Lichtglocken über Strassen, Werbedisplays, Schaufenstern,  und unzähligen anderen künstlichen Lichtquellen herrührt. Auch wenn Handmessgeräte die Himmelshelligkeit über jedem Ort messen können, gelang es Wissenschaftern bisher nicht, die Zunahme genau zu beziffern.

Bisher hat man sich vor allem auf die VIIRS-Daten (Infrarot bildgebendes Radiometer) des Umweltsatelliten Suomi NPP abgestützt (auch Dark-Sky Switzerland in den Nachtkarten), der  Tag- und Nachtbilder der Erde aufnimmt. 2017 wurde aufgrund dieser Daten eine globale Zunahme um 2% pro Jahr vermutet.

Jedoch ist das Instrument blind in Richtung blaue Wellenlängen, die vor allem durch die LED Leuchten hinzugekommen sind. Ausserdem sieht man von oben vor allem das Licht, das direkt in den Weltraum entkommt, aber nicht das Licht, das in die Atmosphäre streut. Deshalb haben viele Forscher vermutet, dass die 2% Schätzung eine Untertreibung war.

Um es genauer zu wissen, hat Christopher Kyba, Physiker am Deutschen Geoforschungszentrum in Potsdam (GFZ) sich einem der ältesten Gebiete der Menschheit zugewandt: Sterngucken. Er hat sich mit Globe at Night zusammengesetzt. Über ein Jahrzehnt hat Globe at Night weltweit die Teilnehmer gefragt, den Himmel von Auge zu beobachten und die Sternbilder zu erfassen wie sie sie sehen können. Diese Messungen zeichnen immer die Grenze des Sichtbaren auf, an jedem Ort in jeder Nacht, wo gemessen wird.

Von 2011 bis 2022 durch Freiwillige gemachte 51351 Beobachtungen, haben Kyba und Mitarbeiter analysiert und mit den satellitenbasierten Karten der Lichtverschmutzung über denselben Zeitraum verglichen. So wurde verstanden, wieviel Himmelsaufhellung über die Zeit in verschiedenen Teilen der Welt den Nachthimmel verschluckt. «Das sei ein schlauer Ansatz,» meint John Barentine (DarkSky Enthusiast aus Arizona), «weil keine Forschungsgruppe das Geld gehabt hätte, weltweit so viele Messgeräte aufzustellen, um ein ähnlich verlässliches Resultat zu erhalten.»

In Europa und Nordamerika, wo die meisten Teilnehmer von Globe at Night leben, hat die Himmelsaufhellung um 6.5% und 10.4% pro Jahr zugenommen. siehe Science

In sich entwickelnden Ländern stehen zu wenig Datenpunkte zur Verfügung, um eine verlässliche Aussage zu machen. Satellitenkarten lassen vermuten, dass dort die Zunahmen sogar schneller fortschreiten.

«Es sei schockierend», meint Kyba. «Schlimmer als er befürchtet habe.» Wenn der Trend fortschreitet, werden Kinder, die heute unter einem  Himmel mit 250 Sternen geboren werden, bis zur Volljährigkeit mit 18 nur noch höchstens 100 davon sehen können.

Diese Beobachtungen stützen die steigenden Befürchtungen wie Kunstlicht die Tierwelt stört, sagt Eva Knop, Ökologin an der Universität Zürich. Frühere Studien zeigten dass sogar der schwache Lichtschein von Städten in  Hunderten von Kilometern Entfernung Zugvögel anlocken und zu Tode bringen kann, die Räuber-Beute Beziehung stört, Hormone durcheinander bringt, und in eine Vielzahl weitere biologische Vorgänge eingreift. siehe z.B. Nachtfalter 2022 und Verweis auf die vollständige Quelle bei darksky.org (engl.).

Das einfache zählen sichtbarer Sterne zur Bestimmung der Lichtverschmutzung könnte den Schutz gefährdeter Tierarten voranbringen, meint Ashley Wilson, Biologin bei DarkSky International. «Das wird unsere Planungsstrategien beeinflussen, und die Beziehung von Nachbargemeinden zu den Schutzgebieten.»

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Zugvögel

von Liliana Schönberger

Frühling und Herbst sind für jeden Vogelbeobachter sehr spannende Jahreszeiten. Der saisonale Vogelzug ist eines der grossartigsten Phänomene der Welt, vor allem wenn man bedenkt, dass in Europa die grosse Mehrheit der Vögel nachts zügelt – allein in den alpinen Zugkorridoren ziehen jedes Jahr über 200 Millionen Vögel durch!

Für Vögel, die von den Brutgebieten in die Winterquartiere (Herbstzug) und von den Winterquartieren in die Brutgebiete (Frühjahrszug) ziehen, ist Lichtverschmutzung eine der Hauptursachen für die direkte Sterblichkeit von Vögeln aufgrund menschlicher Aktivitäten.

Zugvögel sind gezwungen, bei ungünstigen Wetterbedingungen (wenn die natürlichen «Wegweiser» durch Wolken oder Nebel verdeckt sind), ihre Flughöhe zu senken, was ebenfalls häufig zu tödlichen Kollisionen mit dicht beleuchteten Gebäuden in Stadtzentren führt. Das Phänomen, dass Vögel von künstlichem Licht angezogen werden, wurde bereits im 19. Jahrhundert beobachtet und betraf vor allem Leuchttürme und beleuchtete Schiffe [1]. Auf dieser Grundlage wurde zum Beispiel die Identifizierung wichtigerer Zugrouten ermöglicht [2, 3]. 

Von den festgestellten negativen Auswirkungen von künstlichem Licht auf Zugvögel werden am häufigsten Anlockungs-, Desorientierungseffekte genannt. Die Art dieser Auswirkungen kann sich direkt auf die Sterblichkeitsrate auswirken, aber 

auch indirekt, z. B. durch einen erhöhten Energieverbrauch während der Wanderung infolge von Desorientierung und Änderungen der Wanderroute [5].

Die bekannteste und am besten untersuchte Wirkung von künstlichem Licht ist der Anlockungseffekt [4]. Zugvögel nutzen die Himmelskörper während der Nacht als Navigationshilfe und um die richtige Flugrichtung beizubehalten. Vögel, die auf ihrem Weg auf künstliche Lichtquellen stossen, sei es einzeln (z.B. ein Schiff auf See, ein Sendemast), in Gruppen (z.B. ein Windpark) oder in Form von flächendeckender Beleuchtung (eine Stadt, urbane Gebiete), 

können ihre Flugrichtung ändern, da sie fälschlicherweise künstliches Licht als Sterne interpretieren [6]. Dieser Effekt wird besonders bei Nebel, starker Bewölkung und Niederschlag verstärkt [7-11], wenn die Himmelskörper nicht sichtbar sind und die Vögel ihre Flughöhe senken. In klaren Nächten um den Vollmond herum ist die Anziehungskraft deutlich geringer [12]. Vögel, die von Licht-Quellen angezogen werden, kollidieren mit den Strukturen, auf denen die Beleuchtungskörper installiert sind, oder sie kreisen um die Lichtquelle und verlieren so die Energie, die sie für ihren Zug benötigen [13].

Ein Desorientierungseffekt tritt auf, wenn ein Vogel nicht in der erwarteten Richtung fliegt, sondern stattdessen anfängt zu kreisen oder sich chaotisch zu und von einer Lichtquelle zu bewegen [13,14]. Besonders anfällig dafür sind Jungvögel, die auf ihrem ersten Zug ins Winterquartier wegen Lichtverschmutzung viele Zwischenstopps einlegen, von der kürzesten Route abweichen oder sogar in die falsche Richtung wandern [15,16]. Einerseits wird dies mit der Unerfahrenheit erklärt, andererseits mit dem grösseren Einfluss von künstlichem Licht auf junge Vögel.

Zahlreiche Studien bestätigen eindeutig negative Auswirkungen von künstlichem Licht auf den Verlauf des saisonalen Zugs in allen untersuchten taxonomischen Gruppen von Zugvögeln. Dies sollte eine hinreichend starke Begründung sein und einen eindeutigen Anstoss für die Einführung von Massnahmen zur Minimierung der Lichtverschmutzung. Obwohl es keine eindeutigen Antworten gibt, ist die offensichtliche Schlussfolgerung, dass die beste Lösung für die Umwelt (nicht nur für Zugvögel) darin besteht, die künstliche Beleuchtung während der Nacht zu reduzieren.

Quellen

[1] Allen J. A., Destruction of birds by light-houses, “Bulletin of the Nuttall Ornithological Club 5”, 1880, no. 3, pp. 131–38. 

[2] Merriam C. H. Preliminary report of the committee on bird migration, “Auk”, 1885, vol. 2, pp. 53-65.

[3] Munro A., A preliminary report on the destruction of birds at lighthouses on the coast of British Columbia, “Canadian Field-Natumlist”, 1924, no. 38, pp. 141-145.

[4] Van Doren B.M., Horton K.G., Dokter A.M., Klinck H., Elbin S.B., Farnsworth A., High-intensity urban light installation dramatically alters nocturnal bird migration,
“Proceedings of the National Academy of Sciences” 2017, vol. 114, no. 42, pp. 11175-11180, DOI:10.1073/pnas.1708574114.

[5] Bruderer B., Vogelzug. Eine schweizerische Perspektive, no. December, 2017.

[6] Atchoi E., Mitkus M., Rodríguez A., Is seabird light induced mortality explained by the visual system development?, “Conserv. Sci. Pract.” 2020, vol. 2, no. 6, pp. 2–5.

[7] Thompson D., Effects of ships lights on fish, squid and seabirds, Wellington, 2013.

[8] Alerstam T., Ecological causes and consequences of bird orientation, “Orientat. Birds” 1991, vol. 46, pp. 202–225.

[9] Ronconi R.A., Allard K.A., Taylor P.D., Bird interactions with offshore oil and gas platforms: Review of impacts and monitoring techniques,
“J. Environ. Manage.” 2015, vol. 147, no. October 2014, pp. 34–45.

[10] Pettersson J., Night migration of songbirds and waterfowl at the Utgrunden off-shore wind farm: a radar-assisted study in southern Kalmar Sound, 2011.

[11] La Sorte F.A. et al., The role of atmospheric conditions in the seasonal dynamics of North American migration flyways, “J. Biogeogr.” 2014, vol. 41, no. 9, pp. 1685–1696.

[12] Montevecchi W.A., Influences of artificial light on marine birds, “Ecol. consequences Artif. night Light.” 2006, pp. 94–113.

[13] Isaksson C., Bird Species. How They Arise, Modify and Vanish, “Cham: Springer Open” 2015.

[14] Rodríguez A. et al., Seabird mortality induced by land-based artificial lights, “Conserv. Biol.” 2017, vol. 31, no. 5, pp. 986–1001.

[15] La Sorte F.A., Fink D., Buler J.J., Farnsworth A., Cabrera-Cruz S.A., Seasonal associations with urban light pollution for nocturnally migrating bird populations,
“Glob. Chang. Biol.” 2017, vol. 23, no. 11, pp. 4609–4619.

[16] Horton K.G, Nilsson C., Van Doren B.M., La Sorte F.A., Dokter A.M., Farnsworth A., Bright lights in the big cities: migratory birds’ exposure to artificial light,
“Front. Ecol. Environ.” 2019, vol. 17, no. 4, pp. 209–214.