…wo sind sie geblieben? Die Sterne ertrinken im Lichtermeer der Städte.
von Rainer Kayser – im Original erschienen in der MorgenWelt Wissenschaft am 15.11.1999
Der Anblick des funkelnden Sternenhimmels, durchzogen vom schimmernden Band der Milchstraße, ist den meisten Menschen heutzutage lediglich während einer Urlaubsreise vergönnt. In der Großstadt bleibt er den Menschen vorenthalten. Großstadtkinder lernen die Sternbilder heute allenfalls nur noch im Planetarium kennen. Während sich nämlich in dunkler Nacht unter guten Sichtbedingungen einige Tausend Sterne mit dem bloßen Auge erkennen lassen, sind es in den städtischen Ballungsräumen oft gerade einmal ein Dutzend. Die Sterne ertrinken förmlich im Lichtermeer der Städte: gegen Straßenbeleuchtung, Flutlichtanlagen und Leuchtreklame haben sie kaum eine Chance.
Manche Kinder wollen denn auch partout nicht glauben, dass die ihnen im Planetarium gebotene „Lightshow“ eine naturgetreue Darstellung des Sternenhimmels ist. Freilich – so ganz unschuldig sind auch die Planetarien-Betreiber an diesem Missverständnis nicht, versuchen sie doch allzu häufig, das Hollywood-verwöhnte Publikum mit aufwändigen Spezialeffekten zu begeistern. Die Trennung zwischen Fiktion und Fakten fällt da nicht nur Kindern schwer. Und damit vertut man dann oft auch die Chance, den Planetariumsbesuchern zu vermitteln, welch kulturellen Verlust die exzessive Stadtbeleuchtung mit sich bringt.
Während die professionellen Sternenforscher vor der Lichterflut mit ihren teuren Instrumenten in Gegenden fernab der Zivilisation flüchten – etwa an die Europäische Südsternwarte in Chile -, wird den Hobby-Astronomen das Leben zusehends schwerer gemacht. „Im Schweizer Mittelland ist es als Amateur heute schon schwierig, etwas Sinnvolles zu machen,“ klagt Patrik Schellenbauer von der Organisation Dark Sky Switzerland (DSS). Schwächer leuchtende Galaxien seien kaum noch aufzuspüren.
Doch seit einigen Jahren beginnt sich Widerstand zu regen gegen die ausufernde Beleuchtung. Vor zehn Jahren gründete David Crawford von der Kitt Peak Sternwarte in Arizona die International Dark-Sky Association (IDA), in der Amateur- und Profi-Astronomen gemeinsam mit Lichttechnikern und Architekten für die Rettung der nächtlichen Dunkelheit kämpfen.
In der Folge bildeten sich in aller Welt nationale Gruppierungen, wie etwa „Dark Sky Switzerland“, die sich bemühen, das Problem der „Lichtverschmutzung“ überhaupt erst einmal in das Bewusstsein der Menschen zu rücken.
Mehr Licht nämlich, bedeutet für viele Menschen zumeist schlicht: mehr Sicherheit. Doch der Schein trügt, weiß Patrik Schellenbauer zu berichten: „So, wie heute beleuchtet wird, steht das dem legitimen Sicherheitsbedürfnis der Bürger oft genug entgegen.“ Anstatt dunkle Ecken auszuleuchten, beleuchtet ein Großteil des Lichtes den Himmel, weil die Lichtquellen häufig nach oben hin ausgerichtet sind. Der unangenehme Nebeneffekt: Die Menschen werden geblendet – und sehen dadurch schlechter, als dies bei schwächerer, gut abgeschirmter Beleuchtung der Fall wäre. Auch bei der Straßenbeleuchtung bedeutet weniger (Licht) oft mehr (an Wirkung): Zuviel Beleuchtung, so belegen Studien aus den USA, wiegt Autofahrer in Sicherheit und verführt zu schnellerem, risikofreudigerem Fahren.
Jüngstes Ärgernis am nächtlichen Himmel sind die „Sky Beamer“. „Und die werden nicht mehr nur bei Techno-Parties installiert – heute wollen die Leute bei jedem Feuerwehrfest einen Sky Beamer haben!“ schimpft Schellenbauer.
Doch es gibt auch Positives zu berichten. Dank der Lobbyarbeit der IDA haben zahlreiche amerikanische Städte – vorneweg das nahe der Kitt Peak Sternwarte gelegene Tucson – strikte Auflagen für Außenbeleuchtungen erlassen. Selbst Großstädte wie Los Angeles und Denver sind dabei, ihre Straßenbeleuchtungen nach oben abzuschirmen.
Für internationales Aufsehen sorgte auch der Umweltausschuss der Stadt Augsburg, der vor zwei Jahren einen ganzen Maßnahmenkatalog zur Rettung des dunklen Nachthimmels verabschiedete: Bis zum Jahr 2005, so die Forderung, sollte die gesamte Außenbeleuchtung der Stadt „himmelsfreundlich“ sein. Zwar mokierte sich die örtliche Presse: – „Motten, Mücken und was sonst noch nachtaktiv unterwegs ist, soll sich künftig beim schummrigen Schein von Natriumdampflampen munter weitervermehren“, hieß es in der Augsburger Allgemeinen -, doch in der Stadtverwaltung ließ man sich nicht beirren: die Maßnahmen werden Punkt für Punkt umgesetzt.